Quelle: Artikelreihe von Egor Lobusov, ZYQ Lehrer (Moskau, Russland)
Übersetzung ins deutsche: Nataliya Urban
Das zweite Gespräch. Qigong Praxis und die Zeit
Einer der wichtigsten Ansätze in Zhong Yuan Qigong lautet "Es gibt keine Zeit und keinen Raum". Wir betrachten näher den ersten Teil von diesem Spruch.
Was ist Zeit? Man kann verschiedene Theorien aufstellen, aber alle Annahmen werden eine Gemeinsamkeit haben – Veränderungen, Wandlungen. Wenn man Wandlungen allgemein beschreibt, kommt man auf mindestens zwei Parameter; in der chinesischen Tradition bezeichnet man sie als Yin und Yang.
Wenn man die Anzahl der Parameter bei der Beschreibung steigert, bekommen wir vier Bilder (altes Yin, junges Yang, junges Yin, altes Yang), acht Trigramme (Himmel, Erde, Feuer, Wasser, Donner, Wind, Gewässer, Berg), vierundsechzig Hexagramme und so weiter. Aber all das kann man auf das Yin und Yang zurückführen.
Wenn wir eine beliebige Zeitspanne nehmen, werden wir einen Wechsel von Yin und Yang, die einen bestimmten Rhythmus bilden, darin feststellen können. Es ist bequem, die Zeit in gewisse Abschnitte aufzuteilen und ähnliche Verhältnisse zwischen Yin und Yang als ihre Grenzen festzulegen. Da der Mensch ein Teil und ein Spiegelbild der äußeren Welt ist, resonieren seine inneren Rhythmen mit den äußeren Rhythmen. Deswegen schläft man nachts (die Zeit und der Zustand Yin) und ist munter tagsüber (die Zeit und der Zustand Yang); im Sommer weist man mehr Aktivität auf, als im Winter.
Man kann also sagen, der Träger (oder Leiter) des Rhythmus beim Wechsel zwischen Yin und Yang ist das Qi. Das Qi nimmt zu verschiedenen Zeiten verschiedene Zustände an, ist also zu verschiedenen Zeitpunkten mehr Yin oder mehr Yang.
Sehr vereinfacht dargestellt kann man sagen, dass die Praxis des Qigong die Balancierung von Qi Zuständen sei, bzw. die Normalisierung der Qi Bewegung im Einklang mit den Rhythmen, die für diesen Zeitpunkt eigen sind. Natürlich haben wir, als wir oben vom Tag-und-Nacht-Rhytmus sprachen, die Situation für mehr Übersichtlichkeit vereinfacht; in der Tat ist alles wesentlich komplexer und diese Rhythmen haben viele weitere innere Komponenten.
Der Zustand des Organismus ist bei jedem Qigong Praktizierenden anders und für den Fortschritt braucht jeder ein anderes Mengenverhältnis von Yin und Yang. Genau deswegen kann es keinen universalen Ratschlag geben, wer wann und wie lange Qigong üben soll.
Was tun? Man muss dien eigene Sensibilität steigern, zu verschiedenen Tageszeiten praktizieren, die Körperermpfindungen und den Entspannungsgrad beobachten. Zum Beispiel bringt dem einen die abendliche Praxis vom "Großen Baum" großen Nutzen, ein anderer kann danach nicht gut einschlafen. Auch bei ein und demselben Menschen kann sich eine passende Zeitdauer für diese oder jene Praktik im Laufe des Jahres ändern.
Deswegen gibt es nur einen allgemeinen Ratschlag: verschiedene Tageszeiten ausprobieren, die Ergebnisse beobachten und den besten Weg für sich finden, ohne von der Uhr abhängig zu sein.
Ähnliches kann man über die Praxisdauer bei jeder Übung sagen: man soll üben, solange "es sich gut übt". Allerdings muss man dafür die eigene Faulheit bereits überwunden haben, denn sonst wird genau sie leise ins Ohr flüstern, "Es reicht jetzt, du hast genug geübt".
Deswegen haben wir diesen Ansatz – "es gibt keine Zeit".
Natürlich fällt es am Anfang häufig schwer die optimale Zeit für sich zu erspüren und zwischen der Faulheit und den echten Bedürfnissen zu unterscheiden. Für einen solchen Fall kann man folgende Regeln empfehlen.
Das Qi macht 50 Umläufe innerhalb von vierundzwanzig Stunden bei seinem Zirkulieren im geschlossenen System der Energiekanäle. Somit dauert ein solcher Zyklus etwa 30 Minuten – das sollte die minimale Zeitdauer für eine stille Qigong Praktik sein.
Mit dem Fortschritt in der Qigong Praxis, wenn man gewisse Empfindungserfahrungen bereits gesammelt hat, kann man diesen Rhythmus auch ohne Uhr spüren: als eine Art Veränderung des inneren Zustandes. Somit kommt man ein Stück tiefer in die Praxis hinein. Genau deswegen soll man besser eine Übung länger (und demzufolge tiefer), als in der gleichen Zeit mehrere Übungen oberflächlich, praktizieren.
Was die Auswahl der Tageszeit angeht, kann man die klassischen Empfehlungen vieler Qigong Traditionen anführen.
Man übt (jeweils 30 Minuten lang) während der wichtigsten Umwandlungen von Yang und Yin: zwischen 23 und 1 Uhr (Maximum Yin, Entstehung von Yang), zwischen 5 und 7 Uhr (Balance von Yin und Yang), zwischen 11 und 13 Uhr (Maximum Yang, Entstehung von Yin), zwischen 17 und 19 Uhr (Balance zwischen Yin und Yang). Dabei sollte man bedenken, dass die astronomische Zeit für diese Gegend viel wichtiger ist, als die künstlichen Zeitangaben.
Am Anfang muss man sich Disziplin angewöhnen und eine Tageszeit und bestimmte Zeitdauer für das Praktizieren auswählen, je nach realen Möglichkeiten. Zum Beispiel kann man früh am Morgen, sofort nach dem Aufstehen, üben. Das ermöglicht einen guten Einstieg in den Tag, aktiviert Körper und Verstand. Man kann auch abends vor dem Schlafengehen üben. Das hilft die Anspannung des Tages loszuwerden, dann wird auch der Schlaf mehr Erholung bringen und das Schlafbedürfnis könnte etwas sinken, was übrigens zusätzliche Zeit zum Praktizieren freigeben wird. Am Wochenende kann man etwas länger üben.
In der Anfangsphase muss man sich die Angewohnheit antrainieren regelmäßig zu üben, wenn man es ernst meint und weiter praktizieren möchte. Qigong hin und wieder praktizieren wird kaum Erfolg aufweisen. Die Idee ist die gleiche wie beim Wasserkochen: wir füllen den Wasserkocher mit Wasser, schalten an und warten bis das Wasser siedet. Wenn man den Wasserkocher mal an- mal ausschaltet, wird das Wasser nicht zum Sieden kommen.
Am Anfang kann man sich einen kleinen Plan erstellen, je nach den gestellten Zielen und Aufgaben. Nachdem dieser Plan erfüllt worden ist, kann er erweitert werden. Das ist besser, als von Anfang an etwas Grandioses einzuplanen, es nicht zu schaffen und durch Gewissensbisse negative Emotionen in Verbindung mit der Qigong Praxis zu bekommen.
Das Praktizieren von Qigong soll unser Leben besser und glücklicher machen, nicht umgekehrt. Das Leben ist das wichtigste.
Sie sollten sich auch keine Sorgen machen, wenn äußere Umstände Ihre Praxis verhindern. Wenn Sie tatsächlich entschlossen sind, sich durch Qigong zu entwickeln, können Sie ruhig die Praktiken angehen, nachdem Sie Ihre Aufgaben ohne Stress abgeschlossen haben.
Was kann man noch über die Verbindung zwischen der Zeit und der Qigong Praxis sagen? Das Ergebnis hängt nicht nur von der Übungszeit ab, sondern auch von der Übungsqualität. Man kann zwei Stunden lang praktizieren, aber währenddessen in Gedanken durch die Alltagsdinge streichen. Eine solche Übungsweise kann Ihnen Jahre nehmen, wird aber nichts außer Hornhaut auf dem Hintern einbringen.